BGH zur Arbeitsteilung auf Großbaustellen
Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs liegt inzwischen 13 Jahre zurück, die juristische Aufarbeitung dauert aber nach wie vor an. So äußerte sich der BGH in diesem Zusammenhang jüngst noch einmal zu dem Umfang der Sorgfaltspflichten auf Großbaustellen.
Am 3. März 2009 kam es in Zusammenhang mit dem Bau einer neuen Stadtbahn in Köln zu einem verheerenden Einsturz einer Baugrube, was zwei Menschen das Leben kostete und zu erheblichen Sachschäden – nicht zuletzt dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs – führte. Nun hatte der BGH ein weiteres Mal über die strafrechtliche Verantwortung für das Unglück zu entscheiden.
Was war passiert?
Die Stadt Köln hatte eine eigens hierfür gegründete ARGE mit der Errichtung einer Stadtbahn beauftragt. Die später angeklagten Bauleiter waren innerhalb der ARGE für die Abteilungen Spezialtiefbau und Ingenieurbau verantwortlich. Die Abteilung Spezialtiefbau sollte zunächst eine sog. Schlitzwand als Baugrubenumschließung errichten. Anschließend war die Abteilung Ingenieurbau mit dem Aushub einer bis zu 27 Metern unter dem Straßenniveau liegenden Baugrube beauftragt.
Bei den Arbeiten kam es zu verschiedenen Störungen. So wurden etwa Fugenbleche zwischen den zu errichtenden Lamellen über mehrere Meter zerstört oder entfernt, Messprotokolle zum Aushubvorgang falsch ausgefüllt, Hindernisse lediglich verdrängt und nicht beseitigt sowie eine Lamelle nur unvollständig mit Beton verfüllt. Die Betonfehlstelle war es schlussendlich auch, die zu dem verheerenden Einsturz der Baugrube führte.
Diese Störungen wurden nicht zuletzt durch das arbeitsteilige Vorgehen auf der Baustelle begünstigt. Gleich an mehreren Stellen wurden Informationen nicht oder nur unvollständig weitergegeben – oder sogar bewusst falsch dargestellt, um eigene Fehler zu kaschieren. Kontrollen, die dieses Verhalten hätten aufdecken können, fanden nicht statt. Auch eine formale Übergabe der Baustelle nach Abschluss des jeweiligen Gewerks war nicht vorgesehen.
Die Entscheidung des Landgericht Köln
Das Landgericht Köln hatte die angeklagten Bauleiter zunächst vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) und der Baugefährdung (§ 319 StGB) freigesprochen. Soweit es ihnen Sorgfaltspflichtverletzungen nachweisen konnte, betrafen diese lediglich solche Störungen, die für den Einsturz der Baugrube nicht ursächlich geworden waren.
Gegen diesen Freispruch wandte sich die Staatsanwaltschaft nun mit der Revision – mit Erfolg:
Die Entscheidung des BGH im Revisionsverfahren
Aus Sicht der Bundesrichter hatte das LG Köln den Umfang der bestehenden Sorgfaltspflichten unzutreffend bestimmt und den Vertrauensgrundsatz bei arbeitsteiligem Handeln überdehnt. Im Ausgangspunkt ist danach zwischen horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung zu unterscheiden. Horizontale Arbeitsteilung meint dabei die Bildung verschiedener Zuständigkeiten auf gleichberechtigter Ebene. Vertikale Arbeitsteilung beschreibt demgegenüber die Delegation von Aufgaben im Wege einer fachlichen Über- und Unterordnung. Während bei gleichberechtigter Zusammenarbeit im Grundsatz auf die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben durch die Mitwirkenden vertraut werden darf, befreit eine Delegation von Aufgaben nicht gänzlich von der delegierten Pflicht. Hier verbleibt bei dem ursprünglichen Verantwortlichen ein einzelfallabhängig näher zu definierender Verantwortungsrest. Unabhängig von der Art der Arbeitsteilung besteht aber immer dann eine eigene Verpflichtung zu näherer Überwachung oder einem Einschreiten, wenn konkrete Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beteiligten bestehen.
Das LG Köln muss daher nun erneut über die Angeklagten befinden und dabei die Auffassung des BGH zu den Sorgfaltsmaßstäben berücksichtigen.
Die nun vorliegende Entscheidung des BGH stellen unsere Rechtsanwälte Dr. Christopher Czimek und Dr. Vivien Veit in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Architektenblatts (DAB) dar. Wer sich vertieft mit dem Umfang der Kontrollpflichten bei Aufgabendelegation auf Großbaustellen und der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes bei arbeitsteiligem Handeln auseinandersetzen möchte, dem sei daher die Urteilsdarstellung in DAB 10.2022 nahegelegt. Kontaktieren Sie uns als Experten für alle strafrechtlichen Fragen rund um das Thema Arbeitsunfälle im Bedarfsfall gerne auch für eine praktische Beratung.
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… das Unglück in der Severinstraße nicht der erste Vorfall seiner Art war? Bereits 5 Jahre zuvor kam es – ebenfalls in der Severinstraße – zu einem kuriosen Vorfall als die KVB an einem Tunnel arbeitete. Nach den ersten Tunnelbohrungen sackte ein 38 Meter hoher Kirchturm seitlich ab und neigte sich um 75 Zentimeter. Der Turm machte weltweit als „schiefer Turm von Köln“ Schlagzeilen.