
Strafrechtliche Vorhaben der neuen Bundesregierung
Die Parteien CDU, CSU und SDP haben ihren Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ für die 21. Legislaturperiode vorgestellt. KRAFT. Rechtsanwälte beleuchten die zentralen Vorhaben auf dem Gebiet des Strafrechts.
Keine Erwähnung: Hauptverhandlungsdokumentation und Unternehmensstrafrecht
Dabei fallen zunächst zwei Vorhaben auf, die gerade keine Erwähnung im Koalitionsvertrag finden, von vielen Experten dort aber erwartet wurden:
Nach derzeitiger Rechtslage findet keine inhaltliche Protokollierung der Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten statt. Den Gerichten steht für ihre Urteilsfindung daher keine objektive Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung zur Verfügung. Sie sind hierfür vielmehr auf ihre zur Gedächtnisstütze gemachten Notizen angewiesen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass man als Prozessteilnehmer gelegentlich verwundert zurückbleibt, wenn man im Urteil etwa liest, was bestimmte Zeugen gesagt haben sollen und dies mit der eigenen Erinnerung manchmal nicht viel zu tun hat. Insoweit war die Diskussion der Fachöffentlichkeit über eine Dokumentation der Hauptverhandlung in der jüngeren Vergangenheit weit fortgeschritten und ein entsprechendes Vorhaben von Vielen erwartet worden.
Das deutsche Strafrecht kennt keine originäre Strafbarkeit von Unternehmen. Eine solche Ahndung ist derzeit ausschließlich im Bußgeldwege gemäß § 30 OWiG möglich. Nachdem ein Verbandssanktionengesetz in der vorletzten Legislaturperiode noch auf der Zielgeraden gescheitert war – wir berichteten in unserem Blog darüber – hatten viele einen Vorstoß in diese Richtung im Koalitionsvertrag erwartet. Auch dieser ist aber ausgeblieben.
Reform der Strafprozessordnung
Zu den weitreichendsten Vorhaben auf dem Gebiet des Strafrechts zählt wohl die beabsichtigte Reform der Strafprozessordnung zur Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung. Hierfür soll eine Expertenkommission mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis auch unter Beteiligung der Länder gegründet werden, die entsprechende Vorschläge erarbeitet.
Das Vorhaben ist ausdrücklich zu begrüßen. So stellt insbesondere die Digitalisierung der letzten Jahre die Strafjustiz vor immer größere Herausforderungen, denen sie kaum noch Herr werden kann. Dabei wird in der Praxis immer wieder deutlich, dass Ursache hierfür auch die Konzeption vieler Ermittlungsbefugnisse ist, die noch aus einer Zeit stammen, in der es maßgeblich um körperliche Beweismittel ging und digitalen Daten noch keine Bedeutung zukam.
Konkrete Vorschläge beinhaltet die Absichtserklärung noch nicht, diese sollen gerade der Expertenkommission vorbehalten bleiben. Dabei bleibt zu hoffen, dass die Vorschläge nicht nur dem allgemeinen Trend folgen, den Strafverfolgungsbehörden immer weitergehendere und umfassendere Befugnisse bereitzustellen, sondern neben dem berechtigten Interesse an Strafverfolgung auch die Freiheitsrechte der Bürger im Blick haben.
Streichung überflüssiger Straftatbestände
Die Koalitionsparteien beabsichtigen weiter, das StGB daraufhin zu überprüfen, welche Vorschriften überflüssig sind und gestrichen werden können. Konkrete Straftatbestände werden dabei noch nicht benannt.
Der scheidende Justizminister Marco Buschmann hat bereits in der vergangenen Legislaturperiode eine entsprechende Ankündigung gemacht, die dann aber nicht mehr zur Umsetzung kam. Damit hat er bereits eine umfassende Diskussion in der Fachöffentlichkeit ausgelöst, auf welcher das Vorhaben sinnvoll aufbauen kann.
Konkrete Vorschläge bleiben auch hier abzuwarten. Mögliche Änderungen könnten aber die Streichung „toter“ Straftatbestände (z.B. Scheckkartenmissbrauch oder die Verletzung amtlicher Bekanntmachungen), die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten (z.B. das Erschleichen von Leistungen, also insb. das Schwarzfahren), die Abschaffung moralisierender Strafnormen (z.B. Verbot der Doppelehe) oder auch die Einschränkung von Straftatbeständen (z.B. die Beschränkung des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf Fälle mit Personenschäden) betreffen.
Beweislastumkehr bei Vermögensabschöpfung
Für den Bereich der Vermögensabschöpfung ist die Einführung einer Beweislastumkehr geplant. Die Einziehung soll zukünftig nicht mehr auf Fälle beschränkt sein, in denen der Nachweis geführt werden kann, dass dieses aus einer Straftat herrührt – „Verbrechen darf sich nicht lohnen“. Vielmehr soll eine Einziehung bereits dann möglich sein, wenn der Betroffene lediglich die legale Herkunft seines Vermögens nicht nachweisen kann.
Ein konkreter Vorschlag zu diesem Vorhaben bleibt selbstverständlich abzuwarten. Dennoch lässt die Zielformulierung bereits im Ausgangspunkt auf ein höchst bedenkliches Verständnis strafprozessualer Grundsätze schließen. Insoweit ist auf erheblichen Gegenwind aus Wissenschaft und Praxis sowie in letzter Instanz aus Karlsruhe zu hoffen.
Umweltkriminalität
Die verstärkte Bekämpfung von Umweltkriminalität wird im Koalitionsvertrag als Ziel der kommenden Legislaturperiode formuliert. Konkrete Maßnahmen werden dabei nicht benannt.
Die Zielformulierung fügt sich in den allgemeinen Zeitgeist ein, der etwa in NRW bereits vor zwei Jahren zur Gründung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltstrafrecht am Standort Dortmund geführt hat.
Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung bei Geldwäsche
Telekommunikationsüberwachung sowie Online-Durchsuchungen sind als schwerwiegende Grundrechtseingriffe lediglich unter den engen Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO erlaubt. Neben dem Richtervorbehalt beinhaltet dies insbesondere eine Beschränkung auf solche Sachverhalte, in denen der Verdacht besonders schwerer Straftaten besteht – die in den §§ 100a, 100b StPO in Katalogform aufgeführt sind. Eine dieser Straftaten bildet seit je her die Geldwäsche bzw. besonders schwere Fälle der Geldwäsche.
Nachdem der Straftatbestand der Geldwäsche im Jahr 2021 grundlegend reformiert wurde und nun insbesondere bereits jede (Bagatell-)Straftat taugliche Vortat sein kann – wir berichteten hierzu in unserem Blog – wurden die Kataloge in §§ 100a, 100b folgerichtig dahingehend geändert, dass eine Telekommunikationsüberwachung bzw. Online-Durchsuchung weiterhin nur bei dem Verdacht schwerer Straftaten möglich ist. Konkret sieht § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. m StPO vor, dass die Geldwäsche nur dann eine Katalogtat ist, wenn die Vortat eine der ansonsten in § 100a StPO aufgeführten Straftaten ist. Entsprechend sieht § 100b Abs. 2 Nr. 1 lit. m StPO vor, dass nur besonders schwere Fälle der Geldwäsche und solche Fälle der Geldwäsche eine taugliche Katalogtat für Online-Durchsuchungen darstellen, in denen die Vortat eine der unter Nr. 1 bis 7 aufgeführten schweren Straftaten ist.
Gerade diese Einschränkung will die kommende Regierung ausweislich des Koalitionsvertrags aufheben, mit der Folge, dass dieser schwerwiegende Grundrechtseingriff dann gerade nicht mehr auf Fälle schwerer Kriminalität begrenzt ist. Auch insoweit bleibt daher auf erheblichen Gegenwind aus Wissenschaft und Praxis sowie in letzter Instanz aus Karlsruhe zu hoffen.
Steuerstrafrecht
Auch im Steuerstrafrecht sollen Erweiterungen kommen: So ist eine Erweiterung der Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung bei besonders schweren Fällen der bandenmäßigen Steuerhinterziehung geplant. Zudem sollen wirksame Maßnahmen zur Vermeidung sogenannter Cum-Cum-Geschäfte geprüft werden.
Cyberstrafrecht
Das Cyberstrafrecht soll reformiert werden. Neben einer Schließung von „Strafbarkeitslücken“ – diesem Begriff stehen weite Teile der Strafrechtswissenschaft aufgrund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts kritisch gegenüber – etwa bei Deep Fakes oder bildbasierter sexualisierter Gewalt sollen insbesondere auch Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Internetplattformen erweitert werden, insbesondere bei systematischen Mängeln bei der Entfernung strafbarer Inhalte.
Zudem will die Regierung Rechtssicherheit für IT-Sicherheitsforschung schaffen unter gleichzeitiger Verhinderung von Missbrauch. Auch hier bleiben konkrete Vorschläge abzuwarten.
Weitere Vorhaben
Neben den ausgeführten Vorhaben sind zudem Änderungen im Strafrecht insbesondere in folgenden Bereichen geplant:
– Das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis soll noch in diesem Jahr ergebnisoffen evaluiert werden.
– Digitale Ermittlungsbefugnisse sollen ausgeweitet werden, etwa durch eine vereinfachte, auch KI-basierte Datenanalyse.
– Illegales Glücksspiel soll stärker bekämpft werden.
– Rettungskräfte, Polizisten und Kommunalpolitiker sollen künftig besser strafrechtlich geschützt werden.
– Geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 StGB) soll härter bestraft werden.
– In der strafrechtlichen Terrorismusbekämpfung sind Verschärfungen geplant.
– Volksverhetzung, Antisemitismus sowie Hass und Hetze sollen stärker verfolgt werden. Für die Volksverhetzung ist eine Strafschärfung vorgesehen. Dabei soll auch die Möglichkeit des Entzugs des passiven Wahlrechts auf Fälle wiederholter Verurteilung wegen Volksverhetzung ausgedehnt werden.
– Der Tatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) soll erweitert werden und insbesondere zukünftig die Verwendung von GPS-Trackern erfassen.
– Es soll geprüft werden, ob bestimmte Fälle der gefährlichen Körperverletzung zum Verbrechen heraufgestuft werden können.
– Schwarzarbeit soll stärker bekämpft werden – konkrete Vorhaben werden dabei nicht benannt.
Die Verteidigung durch KRAFT. Rechtsanwälte
Ungeachtet aller gesetzgeberischen Vorhaben gilt: Ihre Verteidigung liegt bei uns in besten Händen. Wir bleiben standfest, erst recht, wenn’s stürmisch wird. Vertrauen Sie unserer Erfahrung.
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… der erste Koalitionsvertrag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1961 zwischen CDU/CSU und FDP geschlossen wurde? Der Umstand seiner Veröffentlichung löste damals noch große Unruhe aus.