Untersuchungsausschuss als Strafprozess 2.0
Wir nehmen die Auftritte Merkels & Co. vor dem sog. Wirecard-Untersuchungsauss zum Anlass, zu erläutern, welche Regeln hier gelten, was es mit „notwendigen Aussagegenehmigungen“ auf sich hat und weshalb eine Zeugenaussage vor Untersuchungsausschüssen besondere Risiken für den Vernommenen birgt.
Am heutigen Donnerstag (22.04.2021) und morgigen Freitag (23.04.2021) müssen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dem Wirecard-Untersuchungsausschuss als Zeugen Rede und Antwort stehen. Die Bundesregierung hat insoweit die erforderlichen Aussagegenehmigungen erteilt.
Untersuchungsausschuss – Was ist das und welche Regeln gelten?
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist ein nichtständiger Ausschuss eines Parlaments zur Aufklärung eines Sachverhalts zu politischen Zwecken. Er verwirklicht die Kontrollfunktion des Parlaments und ist vorrangig ein Instrument der Oppositionspolitik – zu seiner Einberufung bedarf es im Falle des Bundestags des Antrags von nur einem Viertel seiner Mitglieder.
Der Wirecard-Untersuchungsausschuss wurde auf diesem Wege Anfang Oktober 2020 auf Antrag der Fraktionen der Linken, Grünen und FDP eingesetzt. Er verfolgt das Ziel, etwaige Versäumnisse von Behörden und Politik im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal aufzuklären und tagt hierzu seitdem im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags.
Dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss kommen dabei einem Strafprozess vergleichbare Befugnisse zu. Dies ist bereits verfassungsrechtlich durch Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG abgesichert – „Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung.“ – und wurde im maßgeblichen Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) einfachgesetzlich umgesetzt. Gleichwohl gibt es in einem Untersuchungsausschuss keine Anklagebank, dienen sie gerade der Aufklärung und nicht der Verurteilung. Personen werden ausschließlich als Zeugen oder Sachverständige vernommen.
Da ein Untersuchungsausschuss keine Beschuldigten kennt, kann es dementsprechend auch keine Zeugnisverweigerungsrechte für Angehörige eines nicht vorhandenen Beschuldigten geben. Soweit Zeugen jedoch durch eine Aussage sich oder einen Angehörigen der Gefahr zuziehen würden, strafverfolgt zu werden, steht ihnen parallel zum Strafprozess ein Auskunftsverweigerungsrecht zu.
Erforderlichkeit einer Aussagegenehmigung
Die Strafprozessordnung sieht in § 54 Abs. 1 die Erforderlichkeit einer Aussagegenehmigung vor, wenn Angehörige des öffentlichen Diensts als Zeugen über Umstände vernommen werden, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht. Dadurch soll dem Schutz öffentlicher Geheimhaltungsinteressen gedient werden. Eine entsprechende Regelung gilt über § 54 Abs. 2 StPO für Mitglieder der Bundesregierung aus § 6 Abs. 2 des Bundesministergesetzes.
Auf diesen Regelungskomplex verweist § 23 Abs. 1 PUAG für die Zwecke der Untersuchungsausschüsse. Dabei kommt der Bundesregierung keinesfalls ein freies Ermessen zu, die Genehmigung zu erteilen oder zu verweigern. Sie ist vielmehr bei nur eng umgrenzten Ausnahmen dazu verpflichtet, eine Genehmigung zu erteilen. Eine versagte Genehmigung ist der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht zugängig.
Besondere Risiken für Zeugen
Von einem Untersuchungsausschuss vernommene Zeugen unterliegen ebenso der Wahrheitspflicht wie solche vor einem deutschen Gericht. Diese Pflicht ist strafrechtlich durch das Verbot einer falschen uneidlichen Aussage (§§ 153, 162 Abs. 2 StGB) abgesichert.
Diese Regelung birgt aufgrund der Unterschiede zwischen einem Gerichtsverfahren und einem Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss erhebliche Risiken für den Vernommenen. Die im Vergleich der beiden Verfahrensarten größte Gefahr für Zeugen hat ihren Ursprung darin, dass Politiker als Nichtjuristen strafprozessuale Maßnahmen handhaben dürfen – ohne notwendigerweise Fachkenntnisse zu haben oder zur Neutralität verpflichtet zu sein. Im Zusammenhang mit einer regelmäßig politisch aufgeheizten Atmosphäre führt dies erfahrungsgemäß zu einer derberen Wortwahl, unzutreffenden Vorhalten und Suggestivfragen. Dies bedingt wiederum, dass Zeugen sich zu Aussagen hinreißen lassen, die sie in einer gerichtlichen Atmosphäre so nicht getroffen hätten. Hinzu tritt, dass das das Spektrum möglicher Fragen angesichts des Untersuchungsgegenstandes, der sich nicht auf die schuldhafte Verwirklichung eines fest umrissenen Tatbestands beschränkt, wesentlich weiter gefasst ist.
Es ist daher in jedem Fall sinnvoll und nachdrücklich zu empfehlen, sich als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss eines Zeugenbeistands zu bedienen.
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… der Wirecard-Untersuchungsausschuss der 62. Untersuchungsausschuss in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist? Durchschnittlich kam es damit zu rund 3,25 Untersuchungsausschüssen pro Legislaturperiode. Lediglich im dritten Bundestag (1957 bis 1961) unter Bundeskanzler Konrad Adenauer kamen die Parlamentarier ohne die Einberufung auch nur eines einzigen Untersuchungsausschusses aus.