BVerfG: Einziehung in erstem Cum-Ex-Fall war zulässig
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer viel beachteten Entscheidung zur Einziehung in Cum-Ex-Fällen geäußert: Eine Einziehung unter Anwendung von Art. 316j EGStGB entfaltet danach zwar echte Rückwirkung, steht aber dennoch in Einklang mit dem Grundgesetz.
Das Strafverfahren vor dem LG Bonn
Im März 2020 kam es vor dem Landgericht Bonn zum ersten großen Strafprozess im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften. Am Ende der Hauptverhandlung wurden die beiden Angeklagten wegen der Begehung mehrerer Steuerhinterziehungsdelikte zu Bewährungsstrafen verurteilt. Zugleich ordnete das Gericht die Einziehung des Wertertrags in Höhe von etwa 176,5 Mio. € gegenüber der Warburg Bank an, die sich von 2007 bis 2011 im Wege des Eigenhandels an Cum-Ex-Geschäften beteiligt hatte. Diese Entscheidung wurde später durch den Bundesgerichtshof bestätigt und war nun Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde des Hamburger Finanzinstituts. KRAFT. Rechtsanwälte erläutern die Hintergründe:
Das Einziehungsrecht
Das Einziehungsrecht des deutschen Strafrechts folgt dem Grundsatz: Verbrechen darf sich nicht lohnen. Erlangt ein Täter durch die Tat etwas, so ordnet das Gericht dessen Einziehung (§ 73 Abs. 1 StGB) oder die Einziehung seines Wertersatzes (§ 73c StGB) an. Dies gilt auch gegenüber juristischen Personen, wenn der Täter für diese gehandelt hat (§ 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB). Da der Gesetzgeber sich insoweit jedoch für ein Nebeneinander von Einziehung und Ansprüchen des Geschädigten entschieden hat, ist der von einer Einziehung potenziell Betroffene vor einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen. § 73e Abs. 1 StGB sieht daher einen Ausschluss der Einziehung vor, wenn der Ersatzanspruch des Geschädigten bereits erloschen ist. Eine Einschränkung hinsichtlich des zum Erlöschen führenden Rechtsgrundes war jedoch lange Zeit nicht vorgesehen. Erst mit Wirkung zum 29.12.2020 wurde § 73e Abs. 1 S. 2 StGB eingefügt, nach dem eine Einziehung trotz Erlöschens des Ersatzanspruchs weiterhin möglich ist, wenn das Erlöschen auf dem Eintritt von Verjährung beruht.
Zur Rückwirkung
Im vorliegenden Verfahren kam es auch gerade auf die Anwendung dieser Norm an. Denn die Ersatzansprüche gegenüber der Warburg Bank waren in weiten Teilen bereits durch steuerliche Verjährung erloschen. Nach allgemeinen Grundsätzen (§ 2 Abs. 1, 5 StGB) hätte eine Einziehung daher nicht angeordnet werden dürfen. Mit Art. 316j EGStGB hat der Gesetzgeber jedoch eine Norm geschaffen, die eine Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB in bestimmten Fällen auch für solche Taten ermöglicht, die vor dessen Inkrafttreten begangen wurden. Das gilt unter anderem für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO.
Art. 316j EGStGB entfaltet somit echte Rückwirkung: Er greift nachträglich in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörigen Sachverhalt ein. Eine solche Rückwirkung steht aber in Widerspruch zu den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Danach muss sich jeder grundsätzlich darauf verlassen können, sein Verhalten am geltenden Recht auszurichten, ohne befürchten zu müssen, dass ihm dies zu einem späteren Zeitpunkt nachteilig angelastet wird. Von diesem Grundsatz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nur in sehr engen Ausnahmefällen abgewichen werden.
Der Beschluss des BVerfG
Die Warburg Bank sah sich daher in der Bestätigung der Einziehungsentscheidung durch den BGH in ihren verfassungsmäßig garantierten Rechten verletzt und legte hiergegen Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun im Rahmen eines Nichtannahmebeschlusses, dass Art. 316j EGStGB zwar „echte“ Rückwirkung entfalte. Eine solche sei jedoch ausnahmsweise gerechtfertigt, da überragende Belange des Gemeinwohls dem Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vorgingen und eine solche Rückwirkung erforderten: Mit Art. 316j EGStGB verfolge der Gesetzgeber das Ziel, durch Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Das Interesse der Allgemeinheit gehe insoweit dem Interesse der Betroffenen vor, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen. Das durch Cum-Ex-Geschäfte erworbene Vermögen sei auch nach dem Eintritt steuerlicher Verjährung noch mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet und das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte sei nicht schutzwürdig. Dies gelte auch für sog. Drittbereicherte, soweit diese nicht gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen habe.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt einen weiteren Meilenstein im Rahmen der Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte dar, welche die wirtschaftsstrafrechtliche Welt noch einige Jahre begleiten wird. Wenn gleich die Karlsruher Richter den Betroffenen mit der ausnahmsweisen Anerkennung einer echten Rückwirkung eine geglaubte Rechtssicherheit nehmen, schaffen sie solche jedenfalls hinsichtlich der Anwendung des Art. 316j EGStGB.
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… Warburg nicht nur der Name eines Hamburger Finanzinstituts ist, sondern zugleich der einer nordrheinwestfälischen Hansestadt? Tatsächlich besteht auch ein inhaltlicher Zusammenhang: Der Familienname der Gebrüder Warburg leitet sich von der westfälischen Stadt ab, wo die Vorfahren der Bankengründer um das Jahr 1700 lebten.