BGH: Zur Urteilsabsetzungsfrist
Der BGH äußert sich in einer aktuellen Entscheidung zu verfahrensrechtlichen Fragen der Urteilsabsetzungsfrist. KRAFT. Rechtsanwälte erläutern die Hintergründe.
Urteilsgründe als Grundlage der Rechtsmittelentscheidung
Nachdem am Ende einer Hauptverhandlung ein Urteil verkündet wurde, haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft – und gegebenenfalls die Nebenklage – eine Woche lang Zeit Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Wird ein solches nicht eingelegt oder erklären die Beteiligten den Rechtsmittelverzicht, so wird das Urteil rechtskräftig und kann inhaltlich nicht mehr überprüft werden. Legt hingegen einer der Beteiligten ein Rechtsmittel ein, so wird das gesprochene Urteil in der Folge durch das Rechtsmittelgericht noch einmal überprüft.
Zum Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung ist das Urteil regelmäßig noch nicht mit (schriftlichen) Gründen versehen, welche zum einen dazu dienen, den Beteiligten die Urteilsfindung nachvollziehbar darzulegen und zugleich die überprüfbare Grundlage für die Rechtsmittelinstanz bilden. Für die Urteilsabsetzung räumt das Gesetz dem Gericht eine Frist von fünf Wochen ab der Urteilsverkündung ein, die sich je nach Umfang des Verfahrens auch um mehrere Wochen verlängern kann.
Da die Urteilsgründe insbesondere auch dem Rechtsmittelgericht eine Grundlage zur Überprüfung der Urteilsfindung ermöglichen sollen, räumt das Gesetz dem Gericht eine Möglichkeit ein, die Urteilsgründe in nur abgekürzter Form zu fassen, wenn kein Rechtsmittel eingelegt wurde, eine Überprüfung des Urteils mithin ausgeschlossen ist. Ist innerhalb der vorgesehenen einwöchigen Frist ab Urteilsverkündung kein Rechtsmittel eingelegt worden, so macht der zuständige Richter regelmäßig von der entlastenden Möglichkeit abgekürzter Urteilsgründe Gebrauch.
Die Entscheidung
Ausgangspunkt der aktuellen Entscheidung ist eine Regelung im Gesetz, die für eine ausnahmsweise Durchbrechung der Rechtskraft durch die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschaffen wurde. Hat ein Rechtsmittelberechtigter die Rechtsmittelfrist unverschuldet versäumt – etwa weil der Verteidiger des Angeklagten entgegen einer getroffenen Absprache kein fristgemäßes Rechtsmittel eingelegt hat –, so kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Damit wird dem Urteil nachträglich die bereits eingetretene Rechtskraft genommen – die den Richter in der Zwischenzeit bereits dazu bewogen haben könnte, das Urteil lediglich mit abgekürzten Urteilsgründen zu fassen.
In einer solchen Situation, in welcher der Richter in berechtigtem Vertrauen auf die Rechtskraft des Urteils dieses lediglich mit abgekürzten Gründen versehen hat, soll eine Revision nicht lediglich deshalb erfolgreich sein, weil das Urteil nicht innerhalb von fünf Wochen mit ausführlichen Urteilsgründen versehen wurde. Insoweit regelt § 267 Abs. 4 S. 4 StPO, dass eine nachträgliche Urteilsergänzung auch nach der 5-Wochen-Frist noch möglich sein soll.
Diese Regelung steht in einem Spannungsverhältnis mit der Regelung des § 338 Nr. 7 StPO, wonach ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Urteilsgründe verspätet abgefasst wurden – obwohl es denklogisch ausgeschlossen ist, dass das Urteil darauf beruht. Hintergrund dieser Regelung ist die gesetzgeberische Annahme, dass die Richtigkeit und Vollständigkeit der Urteilsgründe bei einer verspäteten Urteilsabsetzung nicht mehr hinreichend gewährleistet ist. Ein Zeitverlust wirkt sich mit anderen Worten negativ auf die Qualität der Urteilsgründe als Beurteilungsgrundlage jedes Revisionsvorbringens aus.
Kern der vorliegenden Entscheidung ist nun die Frage, ob das Gericht analog § 267 Abs. 4 S. 4 StPO die abgekürzt abgefassten Urteilsgründe auch dann nachträglich ergänzen darf, wenn es nachträglich vom rechtzeitigen – aus technischen Gründen nicht bemerkten – Eingang eines Rechtsmittels erfährt. Denn auch in diesen Fällen fasst der mit der Urteilsabsetzung befasste Richter die Urteilsgründe gutgläubig abgekürzt ab. Vor diesem Hintergrund bejaht der 3. Strafsenat des BGH in der vorliegenden Entscheidung eine solche Analogie.
Diese Entscheidung kann in der Sache jedoch nicht überzeugen. Denn anders als bei den Fällen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sind die Voraussetzungen der Rechtskraft in der vorliegenden Konstellation nicht nachträglich weggefallen, sondern lagen von Anfang an nicht vor. Und der Fehler, der zu der Gutgläubigkeit des Richters geführt hat, stammt auch nicht aus der Sphäre des Angeklagten, der sein Rechtsmittel ordnungsgemäß und rechtzeitig eingelegt hat. Weshalb er in der Konsequenz nun dennoch sein Revisionsvorbringen nur auf verspätete Urteilsgründe stützen können soll, die gemäß § 338 Nr. 7 StPO gerade keine hinreichende Gewähr mehr für ihre Richtigkeit und Vollständigkeit bieten kann, erschließt sich nicht. Die Auswirkungen der Verspätung auf die Qualität der Urteilsgründe ist gerade unabhängig von der Frage eines Verschuldens.
Urteilsanmerkung in der NStZ
Wer sich vertieft mit dem vorstehenden Thema auseinandersetzen möchte, dem sei die Entscheidungsanmerkung unseres Rechtsanwalts Dr. Christopher Czimek und Rechtsanwalt Dr. Lukas Schefer in der aktuellen Ausgabe der NStZ 2025, S. 62 ff. empfohlen.
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… weibliche Hacker auch als „Haeckse“ bezeichnet werden – ausgehend von dem Namen „Haecksen“ als Zusammenschluss weiblicher Mitglieder innerhalb des Chaos Computer Clubs? Anhaltspunkte dafür, dass die technischen Fehler in dem für die Entscheidung mageblichen Verfahren von Hackern oder Haecksen verursacht wurden, bestehen jedoch nicht.