Neuregelung zu Wiederaufnahmegründen im Strafverfahren
Die materielle Gerechtigkeit vor Augen, hat der Bundestag eine Änderung der StPO verabschiedet. Ergibt sich bei schwersten Straftaten nachträglich eine Verfügbarkeit neuer Beweismittel, kann auch gegenüber Freigesprochenen das Strafverfahren wieder aufgenommen werden. KRAFT. Rechtsanwälte erläutern, weshalb sich die Regelung massiver Kritik ausgesetzt sieht.
Auf den ersten Blick kommt die Erweiterung der Wiederaufnahmegründe überzeugend daher. Wurde ein Beschuldigter etwa wegen Mordes angeklagt, musste jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden und stehen nun neue Beweismittel zur Verfügung, waren dem Staat nach der bisherigen Rechtslage die Hände gebunden. Die Rechtskraft des Freispruchs kann nicht durchbrochen, ein erneutes Verfahren nicht eingeleitet werden. Bei dieser Darstellungsart der Thematik, der sich auch der Gesetzgeber bedient, drängen sich die weitergehenden Fragen auf: Weshalb wird eine solche Regelung erst jetzt Gesetz und wieso ist sie auf Fälle schwerster Kriminalität beschränkt?
Die ebenso knappe, wie zutreffende Antwort auf diese Fragen lautet: Rechtsstaatliche Gerechtigkeit erschöpft sich nicht in dem Streben nach materieller Gerechtigkeit. Anders formuliert: Materielle Gerechtigkeit darf in einem Rechtsstaat nicht um jeden Preis angestrebt werden. Auch Verfahrensvorschriften verwirklichen – in landläufig weit unterschätzter Form – „Gerechtigkeit“. Diese elementare Erfahrung teilen viele jedoch erst dann, wenn sie sich selbst erstmalig der Rolle eines Beschuldigten ausgesetzt sehen.
In Art. 103 Abs. 3 unserer Verfassung ist das Recht verankert, wegen einer Tat nur einmal angeklagt zu werden. Dabei ist es unerheblich, ob der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens auf Verurteilung oder Freispruch lautet. In einem Strafverfahren wirft der Staat einem Beschuldigten vor, durch eine Tat einen Straftatbestand verwirklicht zu haben. Wenn der Staat einen solchen Vorwurf aber erhebt, kommt dem Beschuldigten das Recht zu, dass über den Vorwurf umfassend und endgültig entschieden wird. Denn neben einer Verwirklichung materieller Gerechtigkeit dient eine abschließende Entscheidung maßgeblich auch der Herstellung von Rechtssicherheit. Dem Beschuldigten soll im Falle seines Freispruchs insbesondere die Angst vor einer erneuten Strafverfolgung genommen werden.
Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung. Bei der persönlichen Bewertung der Regelung haben viele zunächst den materiellen Täter im Kopf, der aufgrund fehlender Beweise nicht überführt werden kann. Sie betrifft zwangsläufig aber auch diejenigen Beschuldigten, die unschuldig sind und (auch materiell) zu Recht vom Vorwurf etwa des Mordes freigesprochen wurden. Diese haben sich bereits als Unschuldige einem Strafverfahren stellen müssen. Nun sollen sie auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ihr Leben lang unter dem Damoklesschwert der Wiederaufnahmegründe davor zittern müssen, erneut auf der Anklagebank zu landen. Das mit der Neuregelung angestrebte, materiell gerechte Urteil ist mit einem Verlust an Freiheitsrechten zahlreicher Unschuldiger erkauft.
Der Wiederaufnahmegrund des neuen Beweismittels ist überdies wohl nicht auf eine einmalige Anwendung beschränkt. Wird ein Beschuldigter wegen des Vorwurfs schwerster Kriminalität freigesprochen, kann das Verfahren bei Vorliegen neuer Beweise zukünftig wieder aufgenommen werden. Kommt es auch in diesem neuen Verfahren zu einem Freispruch, kann später aufgrund wiederum neuer Beweise ein weiteres Verfahren wegen derselben Tat aufgenommen werden. Dies gilt auch für einen dritten oder vierten Freispruch.
Der Deutsche Anwaltsverein hat das verabschiedete Gesetz in einer umfassenden Stellungnahme unter anderem aus den angeführten Gründen als verfassungswidrig kritisiert. Zugleich hat er angekündigt, das Gesetz nach Ausfertigung einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zuführen zu wollen. Pointiert und lesenswert hat sich auch Dr. Philip von der Meden zu der Thematik geäußert, die hier in ihrer Komplexität aufgrund des Blog-Charakters nur angerissen werden kann.
Ungeachtet aller Kritik an der Gesetzesänderung steht jedenfalls fest: Der Umstand, dass KRAFT. Rechtsanwälte sich unter Bedienung materieller wie verfahrensrechtlicher Gerechtigkeitskriterien für Ihre Interessen einsetzen, muss keiner zweiten Bewertung zugeführt werden. Er trifft materiell zu!
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach
Wussten Sie eigentlich, dass… das sprichwörtliche Damoklesschwert auf den Herrscher Dionysos zurückgeht? Der Legende nach beneidete Damokles Dionysos in anbiedernder Weise um dessen Macht und Reichtum. Dionysos lud Damokles daher zu einem Festmahl ein und bot ihm an, an der königlichen Tafel zu sitzen. Zuvor ließ er jedoch über Damokles’ Platz ein großes Schwert aufhängen, das lediglich von einem Rosshaar gehalten wurde. Damokles war es in der Folge unmöglich, den dargebotenen Luxus zu genießen. Er verzichtete daher auf die Teilnahme am Festmahl.