Steuerhinterziehung trotz Kenntnis der Finanzbehörde
Der BGH hat in einem jüngst veröffentlichten Beschluss seine ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach es einer (vollendeten) Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) nicht entgegensteht, wenn die Finanzbehörde Kenntnis vom wahren Sachverhalt hat.
Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht sich der Steuerhinterziehung strafbar, wer gegenüber dem Finanzamt falsche oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkürzt. Dabei kommt es immer wieder zu Situationen, in denen der steuerlich erhebliche Sachverhalt zwar unzutreffend erklärt wird, die Finanzbehörde aber auf andere Weise Kenntnis vom wahren Sachverhalt hat – und dennoch die Steuer auf Grundlage des erklärten Sachverhalts lediglich verkürzt festsetzt.
Im konkret zu entscheidenden Fall hatte der Angeklagte im Rahmen seiner Einkommenssteuererklärung einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von ca. 1 Mio. € erklärt – obwohl er als stiller Gesellschafter einer Auslandsgesellschaft ohne die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hatte. Diese Tatsache war dem Finanzamt aufgrund eines gesonderten Feststellungsverfahrens (§ 180 Abs. 5 AO) bekannt.
In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, wie sich die Kenntnis der Finanzbehörde auf die Strafbarkeit auswirkt.
Der Bundesgerichtshof ist in diesem Zusammenhang seit jeher eindeutig: Gar nicht. Für eine Strafbarkeit spiele es keine Rolle, ob die Behörde den wahren Sachverhalt kennt oder nicht. Entscheidend sei allein, dass falsche Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt werden. Die Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) setze keine gelungene Täuschung voraus. Und durch seine falsche Erklärung setze der Steuerpflichtige stets eine beachtliche Ursache für die Verkürzung der Steuer. Diese ständige Rechtsprechung bestätigt der 1. Strafsenat in dem nun vorliegenden Beschluss noch einmal.
Inhaltlich ist der Auffassung (lediglich) im Ausgangspunkt zuzustimmen, wonach der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine Unkenntnis der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt fordert. Richtigerweise kann aber nicht mehr davon gesprochen werden, dass der Steuerpflichtige die Steuerverkürzung „dadurch“, also durch seine falschen Angaben, erwirkt hat, wenn die Finanzbehörde die verkürzte Steuer festsetzt, obwohl sie den wahren Sachverhalt kennt. Insoweit ist der Zurechnungszusammenhang zwischen der Tathandlung – fehlerhafte Erklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen – und Taterfolg – Verkürzung der Steuern – nach richtiger Auffassung unterbrochen. Danach läge in diesen Konstellationen regelmäßig lediglich eine versuchte Steuerhinterziehung bzw. in den Fällen eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Finanzbeamten, neben etwaigen Bestechungsdelikten, eine Teilnahme an dessen Untreuehandlung vor – während die Rechtsprechung hier eine vollendete Steuerhinterziehung annimmt.
Wer sich vertieft mit der Frage einer (vollendeten) Steuerhinterziehung bei Kenntnis der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt befassen möchte, dem sei die gemeinsame Entscheidungsanmerkung unseres Rechtsanwalts Dr. Christopher Czimek mit Dr. Lukas Schefer in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift NStZ empfohlen.
Sie sind Beschuldigter eines Steuerstrafverfahrens? Sprechen Sie uns gerne an!
Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach.
Wussten Sie eigentlich, dass… der Ausdruck „Wissen ist Macht“ auf den englischen Philosophen Francis Bacon (1561 bis 1626) zurückgeht? Die Sponti-Bewegung ergänzte ihn in den 1970er Jahren um den Ausdruck: „wir wissen nichts, macht auch nichts“. Der BGH ordnet sich wohl irgendwo dazwischen ein: „Wissen macht auch nichts.“