BGH: Zur Umdeutung von Verfahrenseinstellungen und außerstrafrechtliche Prüfpflichten

31. Juli 2025

BGH: Zur Umdeutung von Verfahrenseinstellungen und außerstrafrechtliche Prüfpflichten

Der BGH äußert sich in einer aktuellen Entscheidung zu außerstrafrechtlichen Prüfpflichten der Strafgerichte sowie zu der Möglichkeit einer Umdeutung einer irrtümlichen Verfolgungsbeschränkung in eine Teileinstellung.

Was war passiert?

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Angeklagte ein Interesse an einer engeren Beziehung zu der Geschädigten hatte als diese, die ihn daher zurückwies und den Kontakt zunächst abbrach. Der Angeklagte wollte dies nicht akzeptieren und suchte daraufhin immer weder den Kontakt zu ihr. Dies führte schlussendlich dazu, dass die Geschädigte eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz gegen ihn erwirkte. Anschließend schlossen beide einen familiengerichtlich bestätigten Vergleich, in dem der Angeklagte sich unter anderem verpflichtete, die Geschädigte nicht mehr zu bedrohen, zu belästigen, zu verletzen und Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Der Angeklagte bereute dies jedoch kurz darauf und fühlte sich durch den Vergleich ungerecht behandelt. Daher beschloss er, sich nicht weiter daran zu halten und beging in der Folgezeit zahlreiche Taten zu Lasten der Geschädigten und stellte ihr nach, etwa durch zahlreiche Beleidigungen, Körperverletzungen, Urkundenfälschungen oder Bedrohungen. Dabei verstießen die Taten auch gegen den familiengerichtlich bestätigten Vergleich – was eine selbständige Strafbarkeit nach § 4 S. 1 Nr. 2 GewSchG begründet. Soweit eine Verurteilung wegen § 4 GewSchG erfolgte, hat das Gericht darauf verzichtet, die Rechtmäßigkeit des Vergleichs eigenständig zu prüfen und dies im Urteil darzulegen.

Weiter hat das mit der Sache befasste Gericht unter anderem verschiedene Einzeltaten mit Blick auf weitere verfahrensgegenständliche Taten des Angeklagten gemäß § 154 StPO eingestellt. Soweit in dem Verfahren verschiedene Anklagen zusammengefasst wurden, betraf dies insbesondere verschiedene Taten aus einer der Anklageschriften. Dabei hat das Gericht verschiedene der Einzeltaten – nach Auffassung des BGH fälschlicherweise – nicht zugleich als Einzeltaten einer einheitlichen Tat der Nachstellung gewertet.

Zu den Prüfpflichten des Strafgerichts

Der BGH hat hierzu nun entschieden, dass das Strafgericht den Beschluss des Familiengerichts eigenständig und unabhängig von der Beurteilung durch das Familiengericht auf seine Rechtmäßigkeit hin hätte überprüfen müssen. Nur wenn die gerichtliche Bestätigung, gegen die der Betroffene verstoßen haben soll, zu Recht erfolgt ist, kann sie strafrechtlich relevant sein. Dies gebiete die Einheit der Rechtsordnung und entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 4 GewSchG. Dies habe das Gericht vorliegend unterlassen.

Dies überzeugt in der Sache, ist aber insbesondere vor dem Hintergrund einer gegenteiligen Rechtsprechung im Umweltstrafrecht bemerkenswert. Denn dort sind in ständiger Rechtsprechung auch rechtswidrige belastende Verwaltungsakte strafrechtlich zu beachten. Insoweit kommt es – anders als nun bei § 4 GewSchG – nicht auf die materielle Richtigkeit des staatlichen Handelns, sondern allein auf dessen formelle Wirksamkeit an.

Soweit die Auffassung zur formellen Akzessorietät staatlichen Handelns im Umweltstrafrecht seit jeher erheblicher zutreffender Kritik ausgesetzt ist, macht die vorliegende Entscheidung Hoffnung, dass auch die Rechtsprechung im Umweltstrafrecht demnächst noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird und sich hin zu einer materiellen Akzessorietät entwickelt.

Zum prozessualen Teil: Umdeutung

In prozessualer Hinsicht hat der BGH zu dem Sachverhalt entschieden, dass auch eine irrtümlich nach § 154 StPO vorgenommene Verfahrensbeschränkung in eine solche nach § 154a StPO umgedeutet werden kann.

Werden einem Beschuldigten in einem Verfahren gleich mehrere Vorwürfe gemacht, so sieht das Gesetz verschiedene Möglichkeiten für eine ökonomische Verfahrenskonzentration vor. Eine davon bildet die sogenannte Teileinstellung. Wird jemand etwa wegen eines Tötungsdelikts und eines Diebstahls verfolgt, so kann das Verfahren wegen des relativ geringfügigen Diebstahls mit Blick auf die für die Tötung zu erwartende Strafe gemäß § 154 StPO eingestellt werden. Eine weitere Möglichkeit bildete die sogenannte Verfahrensbeschränkung. Hat jemand etwa eine andere Person erschossen und durch den Schuss zugleich eine fremde Sache beschädigt, so kann die Verfolgung gemäß § 154a StPO auf die Tötung beschränkt und dadurch von einer Verfolgung der Sachbeschädigung abgesehen werden.

Die Vorschriften dienen mithin demselben Zweck. Und welche der Normen zur Anwendung kommt, folgt dabei allein der Frage des prozessualen Tatbegriffs: Betrifft die auszuscheidende Gesetzesverletzung eine andere Tat – wie in dem Beispiel den Diebstahl, der unabhängig von der Tötung begangen wurde – so ist § 154 StPO anzuwenden. Betrifft die auszuschließende Gesetzesverletzung hingegen dieselbe Tat – die Sachbeschädigung wurde in dem Beispiel durch denselben Schuss als einheitliche Handlung begangen – so ist § 154a StPO einschlägig.

Die Frage, ob es sich bei einer auszuscheidenden Gesetzesverletzung um dieselbe oder aber eine andere Tat als die Bezugssanktion handelt, ist dabei oft weniger einfach zu beurteilen als die angeführten Beispiele der Tötung mit der Sachbeschädigung oder dem Diebstahl vermuten lassen. So hat in der vorliegenden Entscheidung etwa die sogenannte Klammerwirkung des Straftatbestands der Nachstellung (§ 238 StGB) zu einer Fehleinschätzung des Tatbegriffs und damit der Anwendung des § 154 StPO anstelle des § 154a StPO durch das Ausgangsgericht geführt. Da die Reichweite einer Entscheidung nach § 154 StPO, die eine Verfolgung der gesamten prozessualen Tat sperrt und eine Wiederaufnahme nur unter engen Voraussetzungen zulässt, deutlich über die des § 154a StPO hinausgeht, stellte sich in der vorliegenden Entscheidung erneut die Frage, ob eine irrtümlich nach § 154 StPO vorgenommene Verfahrensbeschränkung in eine solche nach § 154a StPO umgedeutet werden kann – was der BGH in Fortführung seiner Rechtsprechung bejahte.

Entscheidungsanmerkung in der NStZ

Wer sich vertieft mit den vorstehenden Themen auseinandersetzen möchte, dem sei die Entscheidungsanmerkung unseres Rechtsanwalts Dr. Christopher Czimek und Rechtsanwalt Dr. Lukas Schefer in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift NStZ 2025, S. 499 ff. empfohlen.

Ihre Strafverteidiger von KRAFT. Rechtsanwälte aus Mönchengladbach

Wussten Sie eigentlich, dass… es in dem gemeinhin als Schmusehit geltenden Song „Every Breath You Take“ der Band Police eigentlich um Stalking geht? Egal, was die besungene Person tut, das lyrische Ich beobachtet sie dabei („I’ll be watching you“). Bemerkenswert: Trotz teilweise gleichlautender Formulierungen („He sees you when you’re sleeping, He knows when you′re awake“) fällt die Bewertung bei „Santa Claus is coming to town“ hingegen meist anders aus.

Yvonne Krause
Send this to a friend